Patricias Lippen verzogen sich zu einer Grimasse. „Die Polizei hat mich mehr oder weniger beschuldigt, einen urbanen Mythos zur Sensationsgeschichte aufzubauschen, um persönlich davon zu profitieren."
Wie sind die denn bloß darauf gekommen? fragte Mike sich trocken. „Sie stellen viele Mutmaßungen an, Ms. Chou, aber richtige Fakten haben Sie keine."
„Was hat Ihre Freundin?"
Mit einem schiefen Lächeln gab er zu, daß sie ins Schwarze getroffen hatte. „Noch mehr Vermutungen. Aber sie sagt auch, daß wir irgendwo anfangen müssen, weil wir ansonsten einfach verdammt noch mal nichts in der Hand haben. Ich danke Ihnen, daß Sie sich Zeit für mich genommen haben." Er streckte ihr die Hand hin und fügte hinzu: „Sobald wir Fakten haben, sage ich Bescheid."
Ms. Chous Hand verschwand in der des Detective, und trotzdem wirkte es so, als steuere sie die Geste, nicht er. Sie war aufgestanden, und nun konnte Celluci sehen, daß sie viel kleiner war, als ihre Persönlichkeit ahnen ließ. Ihr Lächeln ließ so viele Zähne aufblitzen, daß Celluci daran denken mußte, wie viele der Leute, auf die er in den letzten paar Jahren gestoßen war, keine wirklichen Menschen gewesen waren. „Na, dann machen Sie das mal."
Sie hatte das nett genug gesagt, aber trotzdem war es eine deutliche Drohung. Wenn du mich bescheißt, dann kannst du dich begraben lassen, und das wird kein Zuckerschlecken.
Unter anderen Umständen hätte Celluci wohl anders reagiert, aber kleine Frauen verunsicherten ihn immer irgendwie, also schob er sich einfach nur zur Tür hinaus und zählte im Flur seine Finger, um sicherzugehen, daß sie ihm jeden einzelnen wiedergegeben hatte.
Wenig später saß er im Kleinbus und ging die Informationen durch, über die er jetzt verfügte.
Eine Leiche ohne Hände und mit einer fehlenden, operativ entfernten Niere, die man aus dem Hafen von Vancouver gefischt hatte.
Patricia Chous Erläuterungen, warum die fehlende Niere für eine illegale Transplantation gebraucht worden sein konnte, klangen völlig plausibel, auch wenn ihre Abneigung gegen Ronald Swanson das nicht war.
Das organisierte Verbrechen hatte sich in der Tat in der Vergangenheit der Fingerabdrücke von Toten bedient, und das würde die fehlenden Hände erklären, außerdem hatte Vicki recht mit der Behauptung, die Mafia sei immer auf der Suche nach neuen Verdienstmöglichkeiten. Zumindest schien die Vorstellung von einem kriminellen Ersatzteillager einleuchtender als der Gedanke, ein hochangesehener Geschäftsmann mit einer sozialen Ader könne Organe verscherbeln, als handle es sich um hochwertige Radios, die man aus irgendwelchen Autos geklaut hat.
Laut Patricia Chou war ein Markt für Nieren durchaus vorhanden.
Celluci bettete den Kopf auf das Lenkrad und schloß die Augen. Na prima: Nun haben sie mich soweit, daß ich das fast auch schon glaube ...